Arbeiten
„Die Kunst ist die stärkste Form von Individualismus,
welche die Welt kennt.“
Oscar Wilde
Dieser Individualismus spielt auch beim Betrachten eines Werkes die stärkste Rolle, da nie zwei Personen dasselbe sehen und fühlen werden.
Sie werden sich ihre ganz eigenen Kopfbilder durch die individuelle Entwicklung, durch eigene Erlebnisse und Erfahrungen und nicht zuletzt durch die eigene Fantasie schaffen! Es handelt sich um einen Austausch innerer und äußerer Welten.
In meinen unterschiedlichen Arbeiten spielen Strukturen und Formen eine große Rolle. Der Ursprung liegt dabei in meinen persönlichen Erfahrungen und Erkenntnissen. Mikro- und Makrokosmos in Form und Struktur und die dabei häufigen Entsprechungen des Großen im Kleinen – dieses für mich enorm „Spannende“ versuche ich in meinen Werken sichtbar werden zu lassen und erhoffe mir Freude beim Betrachten ohne Interpretationszwang!
Bei der Skulptur liegt der Reiz in der Dreidimensionalität und dem Material, welches ein Arbeiten mit allen Sinnen fordert. Oft kann das „Kopfmodell“ nicht so umgesetzt werden, wie ich mir das vorgestellt habe! – Ein Astloch, eine morsche Stelle im Holz, das Reißen des Holzes während der Bearbeitung und auch bei der späteren Trocknung; Lager im Stein, die vorher nicht erkennbar waren; das schnelle Abbinden des Gipses – da ist schon Gelassenheit gefragt -es ist eben alles auch Natur!
Bei der Druckgraphik reizt mich die Handwerklichkeit. Die intensive Beschäftigung zum Beispiel beim Bearbeiten einer Kupferdruckplatte, die Vielseitigkeit der Techniken und die vielen Unwägbarkeiten – bis zum fertigen Druck kann so viel passieren! Es sind oft überraschende Ergebnisse, die mal Enttäuschung, aber auch Euphorie auslösen können. Das Umdenken bei der Arbeit an einer Druckplatte, die ja spiegelverkehrt bearbeitet werden muss, erfordert die ganze Aufmerksamkeit.
In meiner Malerei arbeite ich sehr oft mit Schichtungen, teilweise bis zum Relief, um die Dimension zu erweitern.
Anna Lauritzen
„…Und dann ganz viel Lust am Experiment!“
Urformen, die ein Echo auslösen in den Tiefen unseres Unterbewusstseins, auch Ahnungen an unsere Verwurzelung mit der Natur, das ist die Formen- und Themenwelt der ANNA Lauritzen.
Inspiriert von Beobachtungen, durch die AL die Entsprechung des Kleinen im Großen für sich entdeckt hat und fasziniert von der Schönheit der Natur, die sich in eben diesem Kleinen zeigt, begibt sie sich auf die Suche nach der Natur des Menschseins als Ergebnis hochkomplizierter Vorgänge und Gesetzmäßigkeiten. Und was lag da näher für sie, sich der Sicht auf dieses Menschheitsthema anhand der kleinsten Elemente, der Zellen zu nähern?
Organische Formen, Reihungen von knotenförmigen Zellen, herangewachsen zu Clustern oder Aneinanderreihungen, statisch oder in scheinbar tanzender Bewegung, in Konsonanz befindlich oder auch zu Netzwerken verbunden.
AL verfolgt durch ihre schöpferisch künstlerische Tätigkeit und Auseinandersetzung ihr Urbedürfnis, die Welt im Kleinen zu beobachten und ein Verständnis zu entwickeln für Funktion, Aufgaben und vor allem der Kommunikation zwischen unterschiedlichsten Zellarten. Sie zeigt uns mit ihren Arbeiten ihre persönliche Sichtweise auf die Welt und das, was sie im Innersten zusammen hält. Sie schafft eine eigene Erlebniswelt, ohne erklären zu wollen. Sie lässt uns das Wunder der Natur nachfühlen, um uns innehalten und uns berühren zu lassen von Vorgängen und Erscheinungen, die ihr Gänsehaut verursachen. Sie überlässt es uns als Betrachter, einer individuellen Weltsicht nachzuspüren, um so durch eigene Reflexion eine persönliche Erlebniswelt zu schaffen anhand der von ihr für sich selbst gefundenen Formenwelt und unserer persönlichen Fantasie. Kunst bedeutet, Kunst deutet an und Kunst deutet.
Ihre breitgefächerte künstlerische Ausdruckstärke wird sichtbar in ihrer Malerei, Drucktechnik und Bildhauerei, aber auch in den verwendeten Materialien. Sie ist nicht materialfixiert, experimentiert mit Draht, Gips, Holz und Stein. Sie ist auch bereit abzuweichen von einem ursprünglichen künstlerischen Plan, um sich einzulassen auf die natürlichen Gegebenheiten des Materials, lässt sich Raum für kreative Spontanität und erreicht so neue Dimensionen von bemerkenswerter Emotionalität und augenblicklicher Erkenntnis.
Karin Strate, Künstlerin
Prof.Matitjahu Kellig
Kunstgespräch Anna Lauritzen mit Matitjahu Kellig und Karin Strate
„Die Natur lehrt uns Schönheit und zwingt mit Urgewalt alles zu höchster künstlerischer Form.“ (Karl Blossfeldt)
- Anna: Kann Kunst eher Anregungen bieten oder Lösungen?
- Mati: Lösungen sicher nicht, aber ungeheuer viele Anregungen. Anregungen zeigen Regungen, Bewegungen, Leben, das Freisetzen von Emotionen, Fragen. Kunst gibt uns ungeheuer viel Gemeinsames – die Aufgabe, die unglaubliche Orientierungslosigkeit abzubauen, Maßstäbe zu finden und zu setzen, die Frage der geistigen Gesundheit anzusprechen und Belastungen kennenzulernen.
- Karin: Deine Kunst nimmt uns mit in die Welt der Zellformen, der kleinsten Einheit und Form des Lebens überhaupt, die der Existenz eines jeden von uns zugrunde liegt. Insoweit verdeutlichst Du uns mit Deinen Werken unser aller gemeinsame Urform. Du gibst ihr mit Deinen Arbeiten bildnerisch-künstlerisch Gestalt und hebst sie dadurch für einen Moment aus unserem Unterbewussten.
- Anna: Was bewirkt meine Kunst?
- Mati: In der Hoffnung angenommen zu werden, betrachtet und nachzuwirken, wäre schon sehr viel dankbar erreicht. Was ist Wirkung überhaupt? Im Innern, in der Darstellung nach Außen, im Vorzeigen? Wozu, für wen, warum? Welche Wirkung ist sichtbar? Die Antwort darauf ist künstlerisches Tun überhaupt.
- Karin: Deine Kunst bietet über seine offenkundige Form und Gestaltung hinaus Anregungen für unseren reflektierenden Geist. Ob nun die Form das große ganze andeutet oder nur ein Fraktal desselben, entscheidet unsere eigene, individuelle innere Bildwelt. Deine Kunst erklärt nicht, sondern gibt Deiner Vorstellung von dieser Welt eine Fassung durch Verdichtung und Konzentration in Deine Skulpturen, deren Gestalt über den Moment hinweg wirken kann.
- Anna: Leben wir nur im Außen? – Oder sind wir bereit auch nach Innen zu schauen?
- Mati: Das Außen ist Alltag, jedenfalls für den überwiegenden Teil der Menschen. Wohlstand – Wohlstandsverwahrlosung – Profit – Profitgier – etc. Nach Innen heißt aber auch: Enttäuschungen vorzubeugen, Gefahren zu kennen, einen sechsten Sinn zu haben, vorauszuahnen, eine gute Hand zu haben.
- Karin: Die Formen Deiner Skulpturen sind geschlossen, sie geben den Blick auf ihr Innerstes nicht preis. Würden wir in unser Körperinneres blicken, würden wir unendlich viele neue Beobachtungen machen können: faszinierende Zellstrukturen im stetigen Wandel begriffen. Aber würden wir wieder mehr sehen, als nur ihre äußere Struktur? Ist die Frage nicht vielmehr: müssen wir uns, egal wie tief wir blicken, nicht immer wieder mit einem Äußeren begnügen?
- Anna: Wie kann Kunst uns verändern? – Oder wenigstens den Blick auf uns?
- Mati: Wir sollten enge Zusammenarbeit mit allen in Frage kommenden Persönlichkeiten und Institutionen suchen, Zeit haben, Gespräche führen mit unseren Mitmenschen, Schwächen eingestehen, Mensch sein und weiterlernen. Den Lebensweg anzunehmen und leben.
- Karin: Kunst kann, emotional oder intellektuell unsere gewohnten Wahrnehmungs- und Sichtweisen verändern. So können wir unseren Beobachtungswinkel verändern und neue Zusammenhänge erkennen, sogar Überraschungen erleben.
- Anna: Wie fühlen wir uns durch Kunst verbunden?
- Mati: Künstlerisches Wirken hat seine Wurzeln im Intuitiven, im Unterbewusstsein, im Seelischen, in der Fantasie, im Traumhaften, im künstlerisch Visionären, im Irrationalen. Insofern verbinden wir uns mit und durch Kunst, Musik. Durch Sehen und Hören, eben durch Fühlen und Gefühle.
- Karin: Kunst berührt Geist und Seele. Sie ist insoweit Identitätsstiftend oder –erhaltend. Sie bedeutet Leben über die Zellfunktion hinaus, bedeutet Bewusstheit. Das verbindet die gesamte Menschheit.
- Anna: Wie öffnet Kunst den Horizont für Fremdes?
- Mati: Fremd sind wir überall. Also öffnen wir unseren eigenen Horizont. Das kann Kunst bewirken. Kunst soll und muss und darf uns bewegen – im Bekannten und im Fremden. D.h. zulassen, öffnen, loslassen. Das Freisetzen von Emotionen ist nur ein Teilbereich. Es sitzt irgendwo viel tiefer und lässt sich nicht einfach beweisen. Das Andeuten ist schon viel. Näher kommen wir da offenbar nicht heran. Aber das ist in entscheidenden Momenten des Lebens so, und das sind nur wenige, und sie irgendwann im Leben erleben zu dürfen, ist eben ungeheuer wichtig. Wir sind da an einer Stelle, die wirklich sehr zart ist – aber darum geht es. Kunst kann das eigene Fremde uns zeigen und uns somit öffnen.
- Karin: Viel schöner und treffender kann man es kaum formulieren. Vielleicht ist noch dies hinzuzufügen: die Neugierde im positiven Sinn, die uns treibt, Neues, Fremdes zu erforschen, zu erfassen, zu begreifen und zu erleben, auch in uns selbst. Sie ist ein wichtiger Schlüssel für den Zugang zu neuen Horizonten und auch zur Kunst. In seiner Wechselwirkung öffnet Neugier durch Kunst geweckt auch die Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten, um sich neue Horizonte zu eröffnen.